Mutmoment (4): Generation Depression

Gerade wird es nicht heller. Noch schiebe ich es auf den Jänner, die Tage sind kurz und die Nächte umso länger, die wenigen Stunden des Tages voller Erwartungen, Erwartungen der anderen, voller Tatendrang, doch nicht von mir. Das Draußen ist kalt und das Drinnen stickig, so oder so fällt das Atmen schwer. Ich beginne den Text zu schreiben, völlig ahnungslos, ob aus den letzten Zyankalitagen je noch ein Mutmoment entstehen wird, doch die Kategorie verlangt es, also versuche ich es, denn ich bin diszipliniert und halte mich immer an meine eigenen Vorgaben, koste es was es wolle.

Am Freitag stürzte ich ab, ich fiel und fiel und falle seither in einem Vakuum, nicht nach oben oder unten, nie endenwollend, richtungslos. Sie ist wieder da, die Zukunftsangst. Es hat nicht mehr geholfen die Zeitungen zu entabonnieren, die Zahlen nicht zu lesen, denn das, wovor ich mich fürchte begegnet mir gerade ständig auf der Straße, in meinem Leben, in meiner Realität. Vielleicht hat sie nur jetzt erst richtig zugeschlagen, die Pandemüdigkeit, die Ratlosigkeit, was werden kann, was werden soll.

Die Wohnungspreise steigen gerade rapide und gefühlt ins Unermessliche, allein die Lebensmittel des täglichen Bedarfs werden permanent schmerzlich teurer. Inflation, noch nennen sie es nicht beim Namen, aber sie schreiben darüber. Geldentwertung, das Mittel der Wahl wenn es darum geht, angehäufte Staatsschulden zu mildern. Wir leben in den Zwanzigern und grade bin ich manchmal nicht sicher in welchem Jahrhundert. Kleine Gruppen von Menschen gehen auf die Straße, mit Nationalflaggen, sie kommen aus den unterschiedlichsten Ecken, von links, von rechts, egal, doch die Parolen sind eins und sie heißen „Freiheitsentzug“. Der Riss, der sich seit langem durch die Gesellschaft zieht scheint nun endlich aufzubrechen, Impfpflicht heißt der Schlagbohrer der Stunde, der Feind ist die Regierung, aber auch alle anderen, die „mitmachen“.

Es brodelt unter der Oberfläche, was sich zwischen grün und blau für die Hofburg vor ein paar Jahren noch vorrangig virtuell abgespielt hatte, steht jetzt auf der Straße. „Setz deine Maske auf!“, sagt einer in der Straßenbahn zu einem anderen. „Wozu soll das gut sein?“, brüllt der ihn an, „Das bringt doch keiner Sau was.“ „Es ist Vorschrift!“, antwortet der eine. „Tust auch immer alles was man dir anschafft, oder? Kannst nicht selber denken?“ kontert der andere.

„Tust auch immer alles was man dir anschafft.“ und „Kannst nicht selber denken.“ als Antwort auf die Aufforderung, eine gesetzliche Vorgabe einzuhalten. Gerne hätte er sich geprügelt, der andere, wir standen daneben und ich wollte nur weg, weg von der Aggression, die jeden Tag lauter wird und omnipräsent ist.

Ich kenne die Lösung nicht, ich weiß keine Antwort auf die offenen Fragen, ich weiß nur, dass es mit Sicherheit nicht Gewalt sein kann. Nach einer kurzen „Ibiza-Entspannung“ wird die Luft wieder dick. Als wäre da die Reinkarnation von Herbert Dollfuß, nein, Engelbert Kickl, wie war noch gleich sein Name? Doch er ist wieder nur ein Symptom seiner Zeit und wäre es nicht er, wäre es vermutlich ein anderer.

Wirtschaftskrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Pandemie, Klimakrise. Die Themen seit ich mein Studium abgeschlossen habe. „Die Generation Y hat ein düsteres Bild der Zukunft.“, wundern sich die Boomer.

Die Welt ist im Wandel. Ich spüre es im Wasser. Ich spüre es in der Erde. Ich rieche es in der Luft. Vieles was einst war, ist verloren, weil niemand mehr lebt, der sich erinnert.

J.R.R. Tolkien

Doch ich erinnere mich. Und vielleicht muss das diese Woche als Mutmoment genug sein.

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